Stella von Takis Würger
Romane

Takis Würger – Stella [Rezension]

„Stella“ ist bereits der zweite Roman von Takis Würger, der hauptberuflich Redakteur beim Spiegel ist. Der Roman setzt sich mit einem heiklen Thema auseinander und wird deshalb kontrovers diskutiert.

Inhalt / Klappentext

Es ist 1942. Friedrich, ein stiller junger Mann, kommt vom Genfer See nach Berlin. In einer Kunstschule trifft er Kristin. Sie nimmt Friedrich mit in die geheimen Jazzclubs. Sie trinkt Kognak mit ihm und gibt ihm seinen ersten Kuss. Bei ihr kann er sich einbilden, der Krieg sei weit weg. Eines Morgens klopft Kristin an seine Tür, verletzt, mit Striemen im Gesicht: „Ich habe dir nicht die Wahrheit gesagt.“ Sie heißt Stella und ist Jüdin. Die Gestapo hat sie enttarnt und zwingt sie zu einem unmenschlichen Pakt: Wird sie, um ihre Familie zu retten, untergetauchte Juden denunzieren? Eine Geschichte, die auf wahren Begebenheiten beruht – über die Entscheidung, sich selbst zu verraten oder seine Liebe.

Meine Meinung

Das Buch ist nach einer kurzen Einführung in Friedrichs Jugend in zwölf Kapitel eingeteilt, Januar bis Dezember 1942.
Es ist die Geschichte einer großen Liebe des jungen Schweizers Friedrich zu Kristin/Stella einer Jüdin aus Berlin die als Greiferin für die Nazis agiert und ein Doppelleben führt.

Geschichtlicher Hintergrund

Greifer waren Juden die andere Juden verraten und ausgeliefert haben, meist ausgelöst durch Notsituation heraus und durch die Nazis erpresst.

Ca. 30-50 Menschen haben diese grausame Denunzierung begangen.

Zum Vergleich, die SS hatte 200.000 aktive Mitglieder, die Waffen-SS 600.000 und die Sicherheitspolizei bestand aus 3.000 Mann (Angaben ohne Gewähr, bei Spiegel online und der Bundeszentrale für politische Bildung recherchiert) .

Anhand dieser Zahlen sieht man, dass der Anteil der „Greifer“ vergleichsweise sehr gering war.

Dieses geschichtlich heikle und fast unbekannte Thema zum Nazi-Deutschland erzählt Takis Würger sehr sachlich, abgeklärt und distanziert.

Am Anfang eines jeden Kapitels sind Ereignisse aufgelistet, die sich im gleichen Berichtsmonat weltweit ereignet haben – zusammenhanglos und willkürlich, aber gerade das unterstreicht für mich die Brutalität und Absurdität dieser schrecklichen Zeit.

In kursiver Schrift sind Auszüge Gerichtsakten eines sowjetischen Militärtribunals abgedruckt. (Quelle Landesarchiv Berlin)

Die Erzählung

Zurück zu der Erzählung. Auf den ersten Seiten lernen wir Friedrich kennen, einen schüchternen Schweizer Jungen, der in sehr guten Verhältnissen aufwächst. Sein Vater ist im Importgeschäft tätig und ständig unterwegs, die Mutter, eine Deutsche, ist bereits lange vor der Machtergreifung Hitlers in Deutschland eine glühende Nationalsozialistin und pathologische Trinkerin. Über all diese Probleme wird in diesem Haus nicht gesprochen. Friedrich ist dazu erzogen, immer die Wahrheit zu sagen. Ein Lausbubenstreich endet damit, dass er brutal zusammengeschlagen wird und sein Gesicht entstellt wird – nur weil er die Wahrheit gesagt hat. Ihm geht zudem die Fähigkeit verloren, Farben zu sehen. Für die künstlerisch ambitionierte Mutter bricht eine Welt zusammen.

Durch seine Mutter inspiriert und vielleicht auch, weil der wohlbehütete Friedrich sich nichts Böses vorstellen kann, beschließt er nach Berlin zu reisen, um dort selber zu erleben, was wahr ist an den Gerüchten, die man sich in der sicheren, neutralen Schweiz über die deutsche Hauptstadt erzählt.

Hier lernt er Kristin/Stella kennen und auch schnell lieben. Die blonde, quierlige Berlinerin, die Nachts in verbotenen Jazzclubs singt. fasziniert Friedrich. Sie singt, tanzt und geniesst das Leben, teilweise unter dem Schutz des Hauptmannes Tristan von Appen, der eine Schwäche für den verboten Jazz, gutes Essen und Männer (hier bin ich mir nicht sicher) hat.

Doch schnell platzt die Illusion. Stella kommt eines Tages brutal zusammengeschlagen in das Hotel in welchem Friedrich residiert. Wir erfahren, dass die von der Gestapo aufgegriffen und gezwungen wird, als Greiferin zu arbeiten angeblich um ihre Eltern vor der Deporation zu schützen.

Friedrich bekommt diese grausame Realität nur am Rande mit und will sie auch nicht sehen. Ein Zitat, dass die kindliche Naivität Friedrichs widerspiegelt, findet sich auf S.102 “ Ich wollte nicht, das mein Freud Tristan in der SS ist. Ich wollte nicht, dass Kristin für ein Ministerium arbeitet. Ich wollte, dass wir drei weiter tanzen„.

Sätze wie diese finden sich viele in dem Roman und haben mich sehr berührt, diese Hilflosigkeit Friedrichs angesichts der grausamen deutschen Realität und Ausweglosigkeit.

Aber auch Stella, gezwungen zu kooperieren, auch nachdem ihre ihre Eltern längst deportiert sind, führt sie ihr Doppelleben weiter. Aus Ehrgeiz unbedingt Sängerin zu werden? Weil sie nicht anders konnte, Angst vor ihrer eigenen Deportation hatte?

Die Figur auf der Kristin/Stella beruht, ist auf eine wahre Person, Stella Goldschlag, die u.a. auch als das „blonde Gift“ im Berliner Nachtleben bekannt war.

Fazit

Ich finde, Takis Würger ist es gelungen, eine berührende Geschichte zu erzählen, die zum Nachdenken anregt. Die Verzweiflung, Angst und Brutalität des dritten Reiches 1933 -1945 bilden den Hintergrund einer großen Liebesgeschichte.

Dieser Roman beschönigt weder, noch romantisiert er, es ist eine Erzählung mit künstlerischen Freiheiten und kein Geschichtsbuch.

Ich komme aus der Generation, die durch Großeltern und Eltern mit einer sehr intensive Auseinandersetzung der Nachkriegszeit aufgewachsen ist. Ich lese daher weniger Geschichtsromane, aber die sprachliche Klarheit, die oft sachlichen Schilderungen und die tragische Ambivalenz zwischen Kristin/Stella und Friedrich, all das geben von mir eine klare Leseempfehlung und ♥️♥️♥️♥️♥️ !

Das Buch ist mit seinen 224 Seiten sehr schnell gelesen.

Über das Buch

Das Buch ist gerade bei den Hanser Literaturverlagen erschienen, hat wie oben bereits geschrieben 224 Seiten und kostet als gebundene Ausgabe
EUR 22,00. Link zum Buch bei Genialokal* oder Link zum Buch bei Thalia*

Eine Übersicht über meine Roman Rezensionen findet ihr hier.

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